Irgendetwas ist falsch gelaufen oder warum wurde dieser lesenswerte Tagebucheintrag nicht früher veröffentlicht?!
09.25 ab Brienz, 10.55 in Luzern, wo ich mich mit Fabian verabredet habe.
11.12 Uhr ab Luzern, an Bord eines altehrwürdigen Raddampfers der SGV.
Wir haben einen kleinen Tisch für uns allein, geniessen das Essen und die Ausblicke. Das Wetter ist trüb, aber wir wollen Heute ja primär Höhlenluft schnuppern und nicht Aussichten geniessen.
Über Weggis – Vitznau –
Treib – Brunnen – Rütli – die Wiege der Schweiz, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Rütli) – Tellsplatte (hier gewann unser Nationalheld die Freiheit, http://www.tell.ch/schweiz/tellsplatte.htm) – Flüelen, wo wir um 13.55 Uhr eintreffen.
Unser eigentliches Tagesziel ist es, den Gotthard zu entdecken, neue Erfahrungen zu machen, zu erfahren woher der Name, der heutzutage leider allzu selten mehr als Vorname für männliche Nachkommen verwendet wird, kommt (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Gotthard, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Godehard_von_Hildesheim).
Unser Gottardino Extrazug 31271 (http://www.sbb.ch/freizeit-ferien/ferien-kurz-trips-schweiz/regionen/gotthard/gottardino-sonderzug.html) steht auf Gleis 1 bereit, die ersten Mitreisenden sitzen schon auf ihren reservierten Sitzplätzen. Wir aber lungern noch ein wenig am Bahnhof herum und suchen Fotosujets, bevor wir kurz vor der Abfahrtszeit um 14.20 unsere Sitzplätze einnehmen.
Die 4 Eisenbahnwagen 1. Klasse (für je 60 Reisende) sind fast voll. 2. Klassebillette wurden keine verkauft, obschon der Zug auch noch 6 Wagen der „Holzklasse“ hat. Mindestens 79 Schweizer Franken kostet das Billett für den Gottardino (mit Generalabonnement, 139 CHF für Vollzahler), ein stolzer Preis! Mehr als 20’000 Schweizer Franken nehmen die Bundesbahnen je Fahrt ein. Was wird für dieses Geld wohl geboten werden?
An jedem Reisenden wird ein kleines Fläschchen Gotthard-Mineralwasser aus Bad Knuttwil abgegeben. Alle erhalten zudem einen in Form und Farbe dem Schweizerpass nicht unähnlichen
Gottardino Pionierpass (d/f/i/e, die Bürger rätoromanischer Muttersprache ginge vergessen). Kurz vor dem Halt in der MFS Sedrun erhalte alle eine 3 Zentimeter Kleinstausgabe einer Bündnernusstorte.
Ab sofort werden wir bezahlende Reisende in zahlreichen mehr oder weniger sinnvollen Lautsprecheransagen als Pioniere angesprochen. Hallo – wo sind wir hier gelandet bzw. wo fahren wir da mit? Das ganze Brimborium erinnert nicht nur mich an den ehemaligen Unrechtsstaat DDR. Der deutsche Bundestagsabgeordnete mir gegenüber runzelt zu Recht seine Stirn und schüttelt fast unmerklich den Kopf.
Jeder mit Reisenden besetzten Eisenbahnwagen wird von 2 uniformierten Bahnbediensteten begleitet. Ausserdem fahren Sanitäter und Polizisten mit. Wo sind wir denn da? Der Tunnel ist dem Betreiber übergeben worden, erste reguläre Reisezüge fahren bereits seit längerem hindurch – was soll dieses ganze Getue?!?
Endlich geht die Fahrt los. Die Strecke ist immer noch nur 2-gleisig, der Speaker verkündet pathetisch, wir befänden uns nun auf der neuen Gotthardbasistunnelhochgeschwindigkeitsstrecke. Hahaha – was für ein Bandwurm und was für ein Märchen! In den nächsten 2 Stunden werden viele ähnliche Unwahrheiten folgen, ich bin immer mehr erstaunt wie viel Halbwissen und wir wenig Fachwissen die professionellen Begleiter der Gottardinoreisen haben, schade!
Ganz langsam fahren wir nun in den Tunnel ein, damit wir Pioniere das Portalbauwerk und den Tunnelanfang fotografieren könnten (leider ist dies aber wegen der Wagenbauart EW IV, mit nur gewaltsam und ‚ein einziges Mal zu öffnenden Fenstern‘, nicht möglich).
Dann beschleunigt der Zug langsam gegen 140 – 160 Stundenkilometer.
200 Km/h wie von Bundesrat, Parlament und in Abstimmungsbotschaften propagiert werden reguläre Reisezüge in diesem Tunnel nie erreichen. Dies hat verschiedene Gründe: Kapazitätsminderung des Tunnels der auch von 80 – 120 km/h langsamen Güterzügen mitbenutzt wird, allzuschwache Motorisierung aller Züge, Luftwiderstand – auch wegen einem allzu kleinen Tunnelprofil, grosse Steigungen und Gefälle und vieles andere mehr. Geplant ist, dass alle 30 Minuten einem Reisezug drei Güterzüge folgen sollen (unsinnige Fahrplanplanung!).
Wer mehr Infos über das Desaster des neuen Gotthardbasistunnels, die bundesrätlichen Volksabstimmungsversprechen versus Alltagsbetrieb erfahren will, lese den 2-seitigen Fachartikel ‚der Gotthard-Basistunnel – Grosserfolg oder Bauruine?‘ in der soeben erschienen Schweizer Eisenbahn-Revue (10/2016) oder diskutiere mit mir.
Schon verlangsamt der Zug sein Fahrt, wir werden kurzum die Nothaltestelle und Multifunktionsstelle Sedrun (MFS, http://www.nzz.ch/schweiz/nothaltestelle-800-meter-unter-der-erde-1.18601217) erreichen. Gemäss unserem neuen Pass gehören wir zu den wenigen Reisenden, ähem zertifizierten Pionieren, die jemals im Gotthardbasistunnel aussteigen können. Ich habe den Pass 40’179 erhalten (ab welcher Anzahl reden die SBB wohl von vielen Reisenden?).
Gemäss Jeannine Pilloud, der Direktorin des SBB Personenverkehrs dürfen wir uns auf den einmaligen Halt im Herzen des Bergmassivs, mit einem Rundgang durch die Multifunktionsstelle Sedrun und auf eine unvergessliche Welt zum Mythos Gotthard freuen.
Nachdem unsere Reise-Führer die Multifunktionsstelle unter Zuhilfenahme des Fernsteuerzentrums Pollegio (das alle Bahnhöfe und den ganzen Betrieb zwischen Arth-Goldau im Norden und den südlichen Landesgrenzen zu Italien steuert) in Betrieb genommen haben, dürfen wir endlich aussteigen.
Während den kommenden 60 Minuten treten sich die 240 Mitreisenden auf dem schmalen Bahnsteig gegenseitig auf die Füsse. In den ersten 150 Metern der östlichen Flucht- und Evakuationsröhren der MFS dürfen wir zudem eine Plakatausstellung zur Geschichte des Gotthards und zum Bau der Tunnel ansehen. Der Gang zur fast 2 Kilometer entfernten MFS, wo sich auch der 800 Meter Lift nach Sedrun befindet wird uns leider verwehrt! Enttäuschend – andere Mitreisende reden von Betrug, die meisten fühlen sich zumindest verarscht! Immerhin dürfen alle Passbesitzer den Pass stempeln. Dieser wird später vom Zugbegleitpersonal auch noch coupiert, eine eigentliche Fahrausweiskontrolle findet aber nicht statt, die Fachleute hierfür fahren im Zug nicht mit. Schwarzfahren wäre wohl ohne grosse Probleme möglich!
Kurz nach 16 Uhr, alle sind eingestiegen, wird das Licht im Tunnel wiederum gelöscht, der Zug setzt sich in Bewegung und erreicht bald darauf das südliche Tunnelportal in Pollegio (http://www.bahnonline.ch/wp/75174/sbb-betriebszentrale-pollegio-eingeweiht-tower-gotthard-basistunnel.htm). Ohne noch einmal anzuhalten erreichen wir Pioniere den Zugsendbahnhof Biasca, wo sich unsere Führer wortreich verabschieden.
In einem ehemaligen Wartsaal werden wir noch auf die Tessinerspezialitäten verkaufenden Frauen aufmerksam gemacht, bevor wir in einem Regelzug die Heimreise über die alte, bald fast nur noch von S-Bahnzügen zu befahrende Gotthardbergstrecke antreten.
Bevor wir den Süden endgültig verlassen machen einen Halt. Nein, keinen Suppenhalt (http://www.lokifahrer.ch/Strecken/gotthardbahn-2.htm) wie er früher jeweils in Göschenen stattfand, wo die Dampflokomotiven Kohle und Wasser, und die Reisenden eine Suppe erhielt, sondern einen Weissweinhalt in Airolo (http://airolo.ch/de/home.html).
In der altehrwürdigen Gaststätte ‚Hotel des Alpes‘ geniessen wir einen 3er Tessinerweisswein zu günstigen 3 Franken je Deziliter, geniessen das historische Innere des Hauses und das Äussere des Personals.
Nach kurzem Aufenthalt müssen wir schon wieder weiter, auf dem Perron Züge fotografieren, einsteigen, durch den altehrwürdigen Gotthardscheiteltunnel fahren, die Kirche von Wassen 3 Mal am Fenster vorbeiziehen lassen und sodann heimwärts reisen.
Sali Christoph vielen Dank für die tollen Bilder und Berichte! Ich hoffe es geht dir auch gut! Ich beginne ab dem 1.November in Liestal zu arbeiten! Lieber Gruss Oli
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