Ich kann nicht anders, ich muss schon wieder weiter reisen. Nicht dass ich unbedingt ein neues Land oder ein Land, das ich schon kenne wieder sehen möchte, aber seit den Jugoslawien- bzw Balkankriegen, beziehungsweise als Folge davon, sind diverse direkte Bahnverbindungen zwischen den Teilstaaten noch immer unterbrochen. Insbesondere Serbien will zwar EU-Gelder aber die internationalen Bahnlinien und vorallem Personenverkehre nicht wieder ermöglichen.
Deswegen musste ich den Weg über Italien oder Ost-Griechenland-Bulgarien-Rumänien-Ungarn wählen.
Nach dem Aufenthalt im schönen Donaustädtchen Vidin reise ich also über die Donau nach Craiova.
Aber der Reihe nach: einer der Bettler, der mich schon gestern an der Donaupromenade angepumpt hat hat mich auch heute sofort wieder entdeckt. Gestern wollte er etwas zu essen. Ausser 2 Orangen die ich ihm bereitwillig gab, eine 3. ass ich gerade selber, hatte ich nichts bei mir. Eine halbe Stunde später war er wieder da und wollte etwas Geld. Ausser einer Münze, die ich gab, hatte ich nichts mehr. Auch den ganzen gestrigen Abend verfolgte er mich, sogar bis ins Restaurant. Ich gab ihm nichts mehr und machte ihm dies klar. Erst als ich laut wurde und meine Hände verwarf, trollte er sich davon.

Nun, heute Mittag fing er mich in der Fussgängerzone ab. Ich habe genügend Geld und gab ihm auf sein Drängen hin bereitwillig 20 Lew (~10 Franken) in seine Dose. Er lacht, dankt und entfernt sich bis zur nächsten Sitzbank. Dort nimmt er das Geld und verräumt es, sich abwendend, so dass ich vermeintlich nichts sehen könne, in seinem bereits gut gefüllten Poschettli. Dann, knappe 5 Minuten später steht er wieder vor mir, küsst mir bevor ich mich versehen kann die Hand, möchte mich auf die Backen und die Lippen küssen, was ich gerade noch abwehren kann und entfernt sich. Phuuuuh der Gestank ist kaum auszuhalten. 10 Meter entfernt dreht er sich mir erneut zu und bettelt mich um weitere Lew an. Nein, ich mag nichts mehr spenden und sage dies laut und deutlich und verwerfe die Hände. Nun ist alles klar. Er trollt sich.
Bestimmt sähe ich ihn morgen wieder, aber ich gehe nun zum Bahnhof.

2 Fahrkartenschalter sind geöffnet. Nein, nein für Craiova brauche es keine Sitzplatzreservation, sondern nur ein gültiges Billett, das mir die eine Frau verkaufen möchte. Nein Danke, ich möchte eine Reservation im Schlafwagen von Craiova nach Wien. Diese solle ich in Craiova kaufen, bescheidet mir die Dame total hässig! Jänu.

Also gehe ich zum Zug hinter der Absperrung. Der bulgarische Zöllner erlaubt mir einzusteigen, sofern ich vorher meinen Pass ihm übergeben würde. Er kontrolliert ihn visuell und meint dann, er müsste meine ID in seinem System kontrollieren. Also steige ich ein.

Im Verlauf der nächsten 20 Minuten kommen noch viele andere Westeuropäer, etliche aus dem Anschlusszug von Sofia. Offensichtlich sind sie alle Newbies, sie steigen nicht ein gestikulieren, gehen immer wieder zurück zum Einlasstor.
Es nützt Alles nichts, pünktlich 3 Minuten vor Abfahrt kommt der eine der Zöllner und gibt der Reihe nach die Dokumente zurück. Ich bleibe sitzen, und erhalte meine ID. Die Newbies drängeln sich nun aber alle am Eingang und verzögern aufgeregt schnatternd die Abfahrt des Zugs. Endlich, mit 5 Minuten Verspätung fahren wir ab.

Rasch fährt der Triebwagenzug ab. Mit über 70 Stundenkilometern fährt der Dieseltriebwagen von Siemens auf der durchgehend elektrifizierten Strecke.

Nach ca 7 Kilometer wird das Tempo leicht ermässigt. Wir überqueren die Donau auf einer neueren Eisenbahn-Strassenbrücke.



Noch einmal beschleunigt der Triebwagen auf 75 km/h bis ins ungefähr 7 Kilometer entfernte Golenti, einem mit 4 Gleisen ausgerüsteten Bahnhof.


Nach dem Halt dort fahren wir mit maximal 15-25 km/h weiter, der Gleiszustand ist schrecklich, ja teils Angst machend! Die 20 Meter langen Schienen tragen das ihre dazu bei.












Dazu kommt, dass nicht nur Büsche, sonder auch richtige Bäume ins Profil ragen und jeweils mit einem lauten Knall zu Seite geschoben werden und dann dem Zug entlang schleifen.




Nach 15 Streckenkilometern mit 15 – 25 km/h geht es endlich wesentlich schneller voran. 35 Stundenkilometer sind nun unser Tempo. Ab 25 Kilometern vor Craiova fahren wir endlich wieder mit 60 – 70 km/h. Nun dürfte allen klar sein, warum Reisezüge für diese knapp 100 Kilometer über 3 Stunden Zeit benötigen.









Ich fahre übrigens nicht in der 1. Klasse, da hier 3 von 4 Aussenfenstern, wahrscheinlich nach Steinwürfen (zu 95% verübt von Zigeuner-Kindern. Neben mir ist 2017 so eine Fensterscheibe in Brüche gegangen), geborsten sind. In vielen 1. Klasseabteilen sind x Fensterscheiben gesplittert.
16 Uhr in Craiova. Die Stadt scheint mir heute schrecklich lärmig. Die ständigen Sirenen gehen mir auf den Sack. Ich beschliesse noch heute weiter zu fahren.

Am Schalter wird mir beschieden, es sei unklar ob es im Schlafwagen noch Platz habe, ich solle doch so wie alle anderen Interrailer eine Sitzplatzkarte für 5 Lei bis nach Arad kaufen und unterwegs im Schlafwagen nachfragen gehen. Gesagt, getan. Mit dem gleichen Zug fahren unzählige junge und ein ebenso alter Interrailer mit.
Bevor der Zug fährt, betrete ich mir noch ein wenig die Füsse.
Erkennst Du diese Lokomotive? Die schweizerischen Bundesbahnen haben zwischen 1950 und 1970 etliche Diesellokomotiven der Typen Em 3/3, Bm 4/4 und Bm 6/6 in Dienst gestellt.

Die rumänischen Staatsbahnen CFR haben bei der schweizerischen Industrie je 2-4 Lokomotiven dieser Bauarten gekauft. 1-2 wurden in Brasov und einer weiteren Eisenbahnwerkstätte total zerlegt und die Teile kopiert.
Diese Lokomotivreihen stehen heute noch im schweren täglichen Rangier- und Zugsdienst in alle Eisenbahn-Knotenpunkten. Rumänien hat immer wieder schweizerische Lokomotiven und Wagen kopiert.


Kurz nach der Abfahrt wandere ich zum Schlafwagen an der Spitze. Leider ist die Türe geschlossen. Der Zugchef heisst mich, am nächsten Halt aussenrum in den Schlafwagen zu gehen.
Zum Glück gibt es noch ein Single-Abteil für 110 Euro. Okay. Also muss ich mein Gepäck holen. Ich öffne die abgeschlossenen Übergangstüren zum nächsten Wagen mit meinem Vierkant und schliesse sie hinter mir gleich wieder ab und laufe am verdutzt schauenden Zugchef vorbei und hole mein Gepäck. Jetzt öffnet mir der Zugchef die abgeschlossenen Türen. Ich erkläre ihm, dass ich Eisenbahner gewesen sei und noch einen persönlichen Vierkant besetzen würde. Er lacht fröhlich und fragt nach meiner Herkunft und meinem Ziel. Irgendwann folgt unweigerlich die Lohndiskussion. Er erhält umgerechnet knapp 1000 €uro, in der Schweiz würde er als Zugchef mindestens 5000 €uro verdienen. Andererseits müsste er dann seine Heimat verlassen und ohne Frau und Kinder leben lernen und sein Haus mit dem grossen Garten verlassen – nein, deshalb bleibe er in Rumänien, aber er habe die Hoffnung es würde vielleicht auch in Rumänien mal besser werden.
Die Schlafwagenschaffnerin kommt und fragt mich, ob ich für einen kleinen Aufpreis ein Abteil mit Dusche und WC wünschen würde und zeigt mir das Abteil. Okay, ja, ich bin bereit total 150 €uro., dh 40 Euro Zuschlag zu bezahlen. Sehr erfreute Schaffnerin hilft mir beim Umzug. Sie erklärt mir in aller Offenheit, 100 € würde sie abrechnen und 50 Euro für sich behalten und mit dem Zugchef teilen.
Ich möchte eigentlich in den Speisewagen, leider fehlt er heute. Also fahre ich hungrig bis Budapest.
Das Abendlicht ist wunderschön. Ist doch auch eine Entschädigung, oder?!



Bald schon kommt die Schlafwagenschaffnerin und bringt mir 2 selbstgemachte Sandwiches mit Feta und Cervelatscheiben, Kaffee und eine Flasche Wasser. Nein es sei alles bezahlt.



Mein Einzelbett.

Mangels Steckdosen im Abteil, muss ich mein Tablett an der Rasierersteckdose im WC aufladen, was aber wunderbar funktioniert.


Es ist noch nicht spät und doch schon rabenschwarze Nacht.


Trotz der schönen Strecke entlang der Donau, fallen mir die Augen zu, also gehe ich schon vor 20 Uhr ins Bett.