17.05.2020, Freudentag — Mahntag

Am heutigen Tag vor 30 Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) der UNO beschlossen, die Homosexualität, mich und meinesgleichen, aus dem Diagnoseschlüssel der Krankheiten zu entfernen. Mir wurde an diesem Tag nach langem Kampf bestätigt, dass ich nicht mehr krank bin! Also ist dieser Tag ein Freudentag, aber gleichzeitig auch ein Tag der Mahnung.

Der Ehrlichkeit halber muss ich erwähnen, dass ich mich als schwuler Mann nie krank gefühlt habe. Zeit meines Lebens habe ich meine sexuelle Neigung auch nie verheimlicht, mich im Gegenteil gegen jeden Angriff gewehrt!

Meine Eltern und meine Geschwister haben mich bei meiner Identitätsfindung nie behindert, sondern im Gegenteil immer wieder unterstützt und mich verteidigt! Ihnen gebührt auch heute ein herzlicher Dank. Ich erinnere mich an viele schöne Ferientage zusammen mit meinen Eltern und Geschwistern und Lebensabschnittspartnern.

Auch die meisten Verwandten und Bekannten hatten nichts gegen mich einzuwenden, wenn auch hin und wieder erst auf sanften oder härteren Druck meiner Eltern hin. Meine Eltern marschierten anfangs auch an Schwulendemos mit.

Seit den 1970er-Jahren ist die Regenbogenfahne ein
internationales schwul-lesbisches Symbol.

Bereits im Kindergarten wurde mir bewusst, dass ich schwul bin. Ich habe mich deswegen nie schlecht gefühlt! Erst in der Pubertät musste ich lernen mich zu verteidigen, als Mädchen plötzlich mehr von mir wollten als ich zu geben bereit war und Jungs plötzlich nicht mehr zu mir stehen mochten.

In der Sekundarschule (ab dem 12. Altersjahr) und im Gymi wurde mir immer wieder, primär von Lehrern, an den Kopf geworfen, ich sei abnormal und krank. Der Schulpsychiater wurde bemüht, sich mit mir und meinesgleichen zu beschäftigen.

Auch in der Lehre und bei der Arbeit wurde mir von Kollegen, vorallem aber von direkten Vorgesetzten, von Bahnhofsvorständen und Dienstchefs der SBB immer mal wieder an den Kopf geworfen, Leute wie meinesgleichen würden nicht bei den SBB arbeiten, sondern als Coiffeur oder Kellner oder wir seien Künstler!

Viele dieser Männer (selten Frauen) waren selbst latent homosexuell, hatten aber um allen Problemen aus dem Weg zu gehen, geheiratet, Kinder gezeugt und marschierten bei der rechten oder der christlichen Volkspartei (SVP+CVP) mit. An Firmenfesten, wenn der Alkohol die Zunge gelöst hatte, wurde manch einer dann aufdringlich und zeigte plötzlich Gefühle für mich. 12 Stunden später wurde ich dann wieder bedroht oder mir zumindest mit Kündigung gedroht.

1997 wurde Pinkrail gegründet. Als Fachgruppe der LOS und von Pink Cross setzt sie sich für die Emanzipation und tatsächliche Gleichstellung der lesbischen und schwulen Angestellten der öffentlichen Verkehrsunternehmen der Schweiz ein. Wir haben in den letzten siebzehn Jahren einiges zu unseren Gunsten verändern können.

Daneben ist Pinkrail auch eine Freizeitorganisation. Seit vielen Jahren treffen wir uns jedes Jahr mit Partnerorganisationen aus Europa zu einem 5-10 tägigen Funtreffen. 2017 hat ein Team des SWR Fernsehens im Rahmen der Sendung Eisenbahn Romantik einen knapp 30-minütigen Fernsehfilm über uns gedreht: Mit PinkRail nach Neustrelitz

Erst als ich mir bei den SBB eine gewisse Position als Projektleiter und Systemowner erarbeitet hatte, wurde ich nicht mehr so extrem diskriminiert. Externe Geschäftspartner sowie KollegInnen von Nachbarbahnen wussten meine unauffälligen Kennzeichnungen meist rasch zu deuten und gaben mir liebenswürdige Tipps.

Eine neue Direktive des Chefs Infrastruktur verhinderte 2009 einen weiteren Karrieresprung. Plötzlich war ich, solange ich offen schwul lebte, als Chef von 15 oder mehr Mitarbeitenden nicht mehr tragbar.

So wurde ich von gewisse Chefs und Kollegen ab 2009 immer härter attackiert und bedroht. Ich wehrte mich zwar mit Allen mir zur Verfügung stehenden gewaltfreien Mitteln, geriet aber doch immer mehr ins Abseits und wurde geschnitten. 2012 wurde ich deshalb im 57. Altersjahr, nach 39 Dienstjahren, als nicht in heteronormative Teams integrierbar, entlassen und der Invalidenversicherung übergeben. Seither lebe ich mehr recht als schlecht von der IV und einer SBB-Rente.

Etliche ebenfalls offen lebende Kollegen von mir duften auch nicht bis zur ordentlichen Pensionierung bei den SBB arbeiten. Sie wurden vorher mit fadenscheinigen Begründungen abgeschoben. Diejenigen die nicht so wehrhaft waren oder denen die Kraft fehlte, wurden genötigt irgendwelche Vereinbarungen zu unterschreiben und sich eine Arbeit ausserhalb der SBB zu suchen. Nicht wenige landeten arbeitslos, kraftlos, invalid, ausgesteuert in der Armut und etliche sahen den letzten Ausweg im Suizid.

Neben den wortgewaltigen Beleidigungen und Attacken, schmerzen mich bis heute immer wieder die physischen Angriffe, die zerbrochenen Brillen und die gebrochenen Nasen, die mehrmaligen Versuche mich zu vergewaltigen, die Überfälle und Angriffe auf Leib und Leben.

Vor 85 Jahren wurden meinesgleichen mit dem rosa Winkel gekennzeichnet, in Konzentrationslager deportiert und später zu tausenden in Hitlers Gaskammern vernichtet!

Seit 45 Jahren habe ich unzählige Male versucht, Gewalttäter polizeilich zu verzeigen. Immer wieder wurde ich auf den Polizeiposten ausgelacht oder dann aber einer Mitschuld bezichtigt. Ein einziges Mal hat die Polizei in der Schweiz eine Anzeige wegen Gewalt an mir schriftlich entgegen genommen.

Ich habe Glück, ich bin gross gewachsen und recht stark. Dies verhinderte von vorneherein viele Gewalttaten an mir, aber nicht an meinesgleichen.

Als ich mich zu wehren begann, warf die gleiche Staatsgewalt mir übrigens vor, ich sei ein Gewalttäter!

Schwule, Lesben, Transmenschen und Intermenschen werden auch heute noch attackiert, vergewaltigt und verprügelt — auch in der Schweiz. Noch immer versuchen staatliche Stellen darüber hinweg zu schauen.

Immerhin werden wir heute in der Schweiz und in Westeuropa von staatlicher Seite her aber nicht mehr mit dem Tod bedroht.

In 15 Ländern dieser Erde droht uns nachwievor die Todesstrafe und in 72 Ländern auf diesem Planeten ist es noch immer verboten, schwul zu sein, als ob wir Schwule die Wahl hätten so oder ‘normal‘ zu sein.

Seit 2005 ist der 17. Mai deshalb der internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie bzw -feindlichkeit. Transsexualität wurde übrigens erst 2018 aus der internationalen Klassifikation der Krankheiten gelöscht.

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