10.05.2020, Panoramastrasse überm Thunersee

Entgegen der Wettervorhersage ist am Sonntag morgen von den umliegenden Bergen nichts zu sehen. Immerhin, es regnet nicht mehr. Als es gegen 9:30 Uhr aber immer noch unverändert neblig und kühl ist,

verkrieche ich mich noch einmal unter die Bettdecke. ‘Leider‘ erwache ich erst um 13 Uhr.

Unterdessen scheint die Sonne. Schnelle Verpflegung, Velo-Kleider anziehen, Zusatzkleidung einpacken, schon ist 14 Uhr vorbei.

Mal schauen, wie weit ich heute noch radeln mag. Entlang dem Brienzersee fahre ich ohne anzuhalten nach Interlaken. Kurze Verschnaufpause, bin ganz ausgetrocknet, brauche Tranksame.

Menschenleerer Höheweg!
Mammutbäume im Kursaalpark

Keine 5 Minuten nach Ankunft kurve ich um den Kursaal herum, überquere die Aare nach Unterseen und fahre dann auf der alten Strasse Richtung Lombach. Erst kurz vor der Kreuzung beschliesse ich, nicht nach Habkern, sondern direkt nach Beatenberg hinauf zu fahren.

Am Kienberg, in der 2. Haarnadelkurve, 5/4-Stunden nach der Abfahrt in Brienz,

kommt mir ein Erlebnis von vor 41 Jahren in den Sinn.

Ich war damals Ferienvertretung am Bahnhof Ringgenberg. Nach dem Frühdienst hatte ich an einem Freitag um 14 Uhr Feierabend. Ich beschloss nach Beatenberg rauf fahren. In besagter Kurve kam mir ein grosses Auto, mit deutschen Kontrollschildern, auf meiner Strassenseite entgegen, das in der Abzweigung stoppte. Kindergeschrei und Hundegebell. Nachdem ich vorbeigefahren war, hörte ich hinter mir ein zeterndes Ehepaar, weinende Kinder und ein Jaulen. Das Auto fuhr mit quietschenden Reifen weiter.

Im Luegibrüggli brach ich meinen Ausflug ab, gönnte mir ein “Lungenbrötli“ (Zigaretten) und ein “Läbereschampoo“ (Bier/Alk) und genoss lange die Aussicht. Am späteren Nachmittag sauste ich talwärts.

War ich betrunken oder quietschten die Bremsen meines Rades oder hörte ich tatsächlich ein Winseln? Ich musste anhalten und lange suchen.

Am Strassengeländer angebunden, entdeckte ich ungefähr 5 m weiter unten, unter der Brücke versteckt, ein kläglich winselndes Rottweiler Hundekind. Ich benötigte über 1 Stunde bis dass ich mich dem nach mir schnappenden, aber immer wieder aufjaulenden Tierchen auf Griffweite annähern konnte.

Ich platziere das Tier in meinem Schoss streichelte und liebkoste es. Es schmiegte sich bald sehr fest an mich. Ich konnte zwar keinen Hund gebrauchen, brachte es aber auch nicht übers Herz, die Kleine einfach hier zu lassen, weitab von jeglicher Siedlung oder Gehöft. Mit dem Hunde-Bébée in mein weites Hemd eingepackt, rollte ich nach Interlaken und marschierte zu Fuss mit dem Rad am rechten Arm und dem Hündchen an der weissen Strohschnur links, den Berg rauf nach Ringgenberg.

2-3 Tage lang nahm ich das Tier mit zum Frühdienst, dann hatte ich endlich ein paar freie Tage. Schwester und Mann meiner Grossmutter mütterlicherseits hatten kurz zuvor ihren alten Boxer einschläfern müssen. Sie erklärten sich auf Zusehen hin einverstanden, die junge Molli, die bald eher ein Rambo wurde, in ihre Obhut zu nehmen. Leider waren sie schon zu alt und hatten nicht mehr genügend Kräfte, um den Hund mit harter unnachgiebiger Hand zu erziehen.

Bei jedem meiner Besuche in Balsthal, sprang mir der immer mächtiger werdende Hund wiederholt an die Brust, versuchte mich niederzuwerfen. Sobald ich am Boden lag, legte er sich auf meinem Oberkörper und schlief zufrieden brummend ein. Als ich Molli 12 Monate später, auf ausdrücklichen Wunsch der 75-jährigen Gastgeber hin, abholen und anderswo platzieren wollte, klagten Sie mir unter Tränen, der Hund sei Ihnen ans Herz gewachsen, ihr bester Freund, Verteidiger und Wächter geworden, sie könnten sich nicht mehr von ihm trennen.

Heute höre ich kein Winseln, halte deswegen auch nicht an, sondern versuche ohne Anzuhalten möglichst rasch an Höhe zu gewinnen.

Ein schöner Zufallstreffer! (Ist das Fotografieren mit dem Handy während der Fahrt eigentlich auch verboten?)

In der 3. Haarnadelkurve, bei Punkt 1065 (Meter über Meer) ist der erste Akku, nach 500 Höhenmetern, leer. Akkuwechsel, Flüssiges tanken, Aussicht geniessen und im Gedächtnis, sowie auf dem Handy (Mobilfon) als Foto speichern.

Die Sonne brennt schon recht heiss, ich muss mich erneut etwas einschmieren.

Die letzten 136 Höhenmeter bis zum Kulminationspunkt in Beatenberg Mauren schaffe ich im Nu. Ich halte hier nicht an, rolle gemütlich weiter, muss nur immer wieder anhalten um die grandiose Aussicht zu geniessen.

Das schönste Dreigestirn der Welt, Eiger, Mönch, Jungfrau versteckt sich grösstenteils leider immer noch hinter Nebelfetzen.

Nun bin ich hungrig und durstig, leider ist keine Beiz offen. Also kaufe ich im Volg-Laden, mitten im 6 Kilometer lang auseinander gezerrten Dorf Beatenberg, einen Ovodrink, Bananen und ein Eiscornet. Endlich kann ich die immer scheusslicher werdende Anhäufung aus schönen alten Chalets und überdimensionierten Holz-Beton-Bauten hinter mir lassen und in den Wald eintauchen.

Dann bin ich auch schon an der Schranke. Die heutige Privatstrasse, ist jeweils nur im Sommer geöffnet. Normalerweise ist ein Strassenzoll bzw eine Maut zu bezahlen. Die Schranke ist heute aber offen.

Anfangs und während des Zweiten Weltkriegs wurde die Militärstrasse von Sigriswil über die Alp Grön nach Beatenberg von der Armee, zwecks Sicherstellung des Zugangs zu den verschiedenen, in den Felsen des Niederhorns eingebauten Geschützstellungen der Festung Waldbrand gebaut. Heute kann die Geschützstellung, die sich mangels Verwendungsbedarf der Armee, nun in privater Hand befindet, in Gruppen und auch individuell besichtigt werden (sehr lohnenswert).

Die Strasse ist schmal. Ich muss feststellen, dass nicht alle Autofahrenden sich Gedanken darüber gemacht haben oder machen, dass eine Kreuzung mit anderen Fahrzeugen nicht überall möglich ist. Insbesondere die Tunnel sind dunkel, nur einspurig und für manche FahrzeuglenkerInnen zu schmal, heute dafür zusätzlich mit einem Gehweg für FussgängerInnen ausgerüstet.

Während ich an Ausweichstellen anhalte, um bergwärts fahrende, entgegen kommende Autos abzuwarten und die einmalige Aussicht zu fotografieren, fahren ungeduldige Autofahrende recht schnell an mir vorbei, um Sekunden später, nach einer schrill tönenden Vollbremsung, langsam, rückwärts, bergauf, aus dem Tunnel zu kriechen. Ich kann mir ein schadenfrohes Lächeln nicht immer verkneifen.

Die Aussicht ist jedes Mal wieder wunderschön, zwischen den Tannen hindurch auf den Thunersee und die Berge des Simmentals im Hintergrund, sowie senkrecht hinauf auf die Felsen des Niederhorns.

In der Ferne sehe ich sogar Steinböcke und Gämsen, recht häufig pfeifen Murmeltiere. Beim Anhalten sollte beachtet werden, dass nicht aus den Fahrzeugen nicht ausgestiegen werden darf. Es herrscht das ganze Jahr über grosse Steinschlaggefahr. Ich sehe einmal etwas Kies auf die Strasse runter kommen, kann aber rechtzeitig ausweichen.

Kurzer Halt auf der Alp Grön. Dies ist die unterste Alp des Justistals. Hier findet jeweils Ende des Sommers der traditionelle Chästeilet statt.

Siehst Du den Sendeturm auf dem Niederhorn.

In meiner Jugend sind wir hin und wieder von hier aus durchs mehrheitlich flache Justistal Richtung Sichle und Eriz und wieder zurück gewandert. Lange Tage in ruhiger, autofreier Natur mit vielen Wildtier-Beobachtungen. Ungefähr dreieinhalb Stunden hin ins Eriz zu den Verwandten und ebenso lang auch wieder zurück bis zum Auto in der Grön.

Dann lasse ich es wieder weiter rollen, gen Südwesten in Richtung Sigriswil. An der nordwestliche Ecke des Justistals wurde vor vielen Jahren eine Aussichtsplattform mit grossem Grillplatz, sowie tischen und Bänken gebaut.

Das Anhalten und Geniessen der Aussicht ist ein absolutes Muss. Sprachlos sitze ich 5 Minuten in absoluter Ruhe da, bevor weitere Ausflügler ankommen. Allzu rasch muss ich aber weiter.

In der Ferne, über dem unteren Simmental, sowie über dem Thuner Seebecken bahnt sich ein dunkles Gewitter an. Wenn Mann gut hinhört, ist ein verhaltenes Grummeln zu hören.

Weiter geht die Talfahrt bis nach Sigriswil, auf 800 Metern über Meer.

Hier beschliesse ich, auf der alten, steilen und teils nicht asphaltierten, sondern gekiesten und deshalb fast komplett verkehrsfreien Strasse nach Merligen zu fahren.

75 Kilometer und ~800 Höhenmeter

Dies erspart mir einen Umweg von mehreren Kilometern.

In der Bärenegg, 1,5 Kilometer vor dem Dorf Merligen, verspüre ich erste Regentropfen.

Endlich erreiche ich die grosse Strasse die fast Autoleer ist. Ich fahre als ob der Teufel hinter mir her fahren würde. Es tropft, aber ich werde doch nicht nass.

Beim Anstieg der Strasse östlich der Beatenbucht spüre ich die letzten Regentropfen. Ein Teil der Gewitterwolken scheint ins Justistal abgebogen zu sein, der andere Teil ist auf der anderen, südlichen Seeseite vorbeigerauscht, Glück gehabt!

Jetzt wo keine Gefahr mehr droht, werde ich bummeln, kann ohne weiteres noch Fotohalte bei den alten schmalen Tunneln,

bei den Beatushöhlen,

bei den breit ausgebauten Tunneln,

in Sundlauenen und am

Gelbenbrunnen, kurz vor Neuhaus machen.

Durch Unterseen

und entlang der Aare zum

scheusslich-unpassenden Bau des Kursaals fahrend,

erreiche ich gegen 19:30 Uhr die Touristenmeile von Interlaken, den Höhenweg.

Kein Mensch weit und breit. Ohne richtig Anzuhalten

fahre ich weiter nach Ringgenberg – Niederried –

Oberried am Brienzersee –

Ebligen bis zum

Wildbach vor Brienz.

Hier muss ich noch einmal Halt machen, die Aussicht auf die Berge, mein Heimatdorf und den zweifarbigen See geniessen.

Kurz vor 9 Uhr abends erreiche ich Brienz und

mein Heimetli, nicht überaus müde, dafür aber umso glücklicher und zufriedener und ohne vorzeitige Dusche von oben!

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