08.06.2017, regnerischer Norden; sonniges Berner Oberland

Ausschlafen, Packen, zum Bahnhof laufen. Pünktlich 10.24 fährt mein ICE ab. Letzte Hamburgfotos. Ab Hannover ist der Zug recht voll. Viele, vorallem sogenannte Geschäftsleute haben keinen Sitzplatz reserviert, wenden das Recht des Stärkeren an, verüben Wortgewalttaten, belegen Sitzplätze von Reisenden die aufs WC gehen! Ich kämpfe um meinen Sitzplatz, lese Zeitung, höre Gesprächen zu, die trotzdem dass ich mich in einem Psst-Ruhewagen befinde, ungeniert und lautstark geführt werden: Offenbar sind schon wieder die Juden an allem Elend schuld, aber auch die Andersfarbigen kriegen ihr Fett weg. Auch die ‚Lesben‘, die nicht mit dem ‚gutaussehenden‘ Kotzbrocken ins Bett wollen, haben schuld am schlechten Image Deutschlands und dem Geburtenrückgang. Die verweichlichten Schwulen, diese halben Männer, die nichts für den Staat machen würden, hätte der letzte Despot vor 80 Jahren allesamt vergasen sollen. Die Merkel habe zu wenig Durchsetzungskraft, Deutschland brauche wieder einmal einen starken, unerbittlichen, dieses Mal aber intelligenteren Führer. Oi-oi-ok-oi, wo bin ich hier nur gelandet?! 
Wie rechtslastig, nazistisch, laut und unanständig muss es wohl in den anderen Wagen sein, die keinen PSST-Ruhewagen-Kleber haben?! 

Schliesslich verjagt es mich fast, ich versuche die lauten Gespräche aller Art zu stoppen, zuerst alleine und ganz höflich und dann mit Hilfe des Zugpersonals. Aber ohalätz, da habe ich mir den falschen Helfer gesucht: Der Zugbegleiter sagt, Gespräche seien im psst Ruhewagen erlaubt und könnten von ihm nicht verboten werden. Nur Handygespräche seien nicht erlaubt. 20 Minuten später startet ein Businessmann mir schräg gegenüber, der sich gleichzeitig auch schädigend an der Infrastruktur vergreift und mit seinem Messer oder Klipser die Tischplatte zerkratzt, ein lautes Handygespräch. Der Zugbegleiter, der grad in der Nähe ist und auch mithört (und -sieht), meint, er könne einem Businessmann das Telefonieren im Ruhewagen nicht verbieten! Ja geht es denn noch, was gilt denn nun? 

Es kommt noch schlimmer, der Zugbegleiter sagt den Reisenden laut und deutlich, ich sei der Reisende, der sich von ihren Gesprächen gestört fühlen würde und verspricht Ihnen sorry-Gutscheine. Dies ist unverschämt! Also lärmen alle Reisenden (mit Ausnahme eines älteren Ehepaars) im Wagen munter weiter und beschimpfen mich teils überaus fies!!! 

Warum gibt es Ruhewagen? Nun denn, ich beginne die Reisenden mir gegenüber ganz offensichtlich mit dem Handy zu fotografieren und den Ton aufzunehmen. Die Situation wird bedrohlich. Verbale Drohungen, gefolgt von entsprechenden Handbewegungen. 

Ein letzter Versuch meinerseits, ich drohe ganz offen mit der Bahnpolizei und dem Betätigen der Notbremse im nächsten Haltebahnhof. Plötzlich ist’s recht ruhig im Wagen, keine Telefongespräche mehr, kein lautes Musik abspielen, keine lauten Gespräche. Nur der eine deutsche Kotzbrocken hinter mir, der vorhin so arg geprahlt hat mit der fahnentreuen SVP in seinem Wohnort Davos, ist jetzt so gefrustet, dass er bis Basel fast eine ganze Kilotüte Gummifrüchte verzehrt hat.

Ich bin erleichtert, als ich kurz vor 17 Uhr in Basel Schweizerbahnhof endlich den ICE nach Chur verlassen und in den ebenfalls vollen IC nach Interlaken Ost umsteigen kann.

Die Schweiz empfängt mich mit purem Sonnenlicht und heimeliger Wärme. 19.20 Uhr erreiche ich mein Reiseziel und Wohnort Brienz. Nach 2 Wochen M U N T E R W E G S wieder in den eigenen 4 Wänden bzw im Garten!

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